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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.09.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 311/09
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 359 Nr. 5 | |
StPO § 368 |
Betreibt der Verurteilte die Wiederaufnahme mit Entlastungstatsachen und Beweismitteln, mit denen er sich in der Hauptverhandlung nicht verteidigt hat, obgleich ihm diese seinerzeit bekannt gewesen sind, so trifft ihn eine erweiterte Darlegungspflicht. In diesen Fällen hat er - als Folge seiner Verteidigungsstrategie - einleuchtende Gründe dafür anzuführen, warum er die Tatsachen und Beweismittel früher nicht zu seiner Entlastung verwandt hat, dies aber nunmehr im Wiederaufnahmeverfahren mit seinen nach §§ 359 ff. StPO beschränkten Möglichkeiten für geboten hält.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Verwerfung des Wiederaufnahmeantrags und seine Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers werden aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausgeräumt werden, jeweils auf dessen Kosten (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO) verworfen.
Gründe:
Im Rahmen der angestellten Wahrscheinlichkeitsprognose ist das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen zu dem Schluss gelangt, dass das erkennende Gericht auch bei Berücksichtigung der nunmehr von dem Verurteilten benannten neuen Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO zu demselben Schuldspruch gelangt wäre. Bei der Würdigung des Wiederaufnahmevorbringens ist die Kammer zu Recht von einer erweiterten Darlegungspflicht des Beschwerdeführers sowie davon ausgegangen, dass die Antragsbegründung diesen erhöhten Darlegungsanforderungen nicht genügt.
Mit Blick auf die im Zulassungsverfahren vorzunehmende Eignungsprüfung genügt im Wiederaufnahmeverfahren nicht stets der bloße schlüssige Vortrag eines Wiederaufnahmegrundes. Vielmehr sind nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung auch die Geeignetheit von Tatsachenvortrag und Beweismitteln darzulegen, wenn dies für die Bewertung erforderlich erscheint und sich ohne dem nicht beurteilen lässt, ob die Beweisgrundlagen des rechtskräftigen Urteils erschüttert werden (zu vgl. BGH, Beschl. v. 7. Juli 1976 in NJW 1977, 59; OLG Köln, Beschl. v. 7. September 1990 in NStZ 1991, 96 f.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 20. März 2003 - 1 Ws 55/03; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. Dezember 1992 - 2 Ws 508/92; KG Berlin, Beschl. v. 8. Dezember 2000 - 4 Ws 228/00; OLG Hamm in NStZ-RR 2000, 85). Widerruft der Verurteilte sein Geständnis im Wiederaufnahmeverfahren oder benennt er einen Zeugen, der ihn in der Hauptverhandlung belastet hat und ihn nunmehr im Gegensatz zu seiner früheren Aussage entlasten soll, so hat er - verfassungsrechtlich unbedenklich (zu vgl. BVerfG, Beschl. v. 30. April 1993 - 2 BvR 525/93) - die Gründe für sein früheres, falsches Geständnis ebenso wie für den Sinneswandel des Zeugen darzulegen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 359, Rn. 46 ff. m.w.N.). Das Wiederaufnahmegesuch muss in diesen Fällen plausibel machen, warum der Verurteilte die Tat in der Hauptverhandlung der Wahrheit zuwider zugegeben hat und weshalb er daran nicht mehr gebunden sein will. Ebenso hat er die Umstände anzugeben, unter denen der Zeuge von seinen früheren Bekundungen abgerückt ist.
Diese erweiterte Darlegungspflicht hat nach Auffassung des Senats indes auch dann zu gelten, wenn der Verurteilte - wie hier - die Wiederaufnahme des Verfahrens mit Entlastungstatsachen und Beweismitteln betreibt, mit denen er sich in der Hauptverhandlung nicht verteidigt hat, obgleich ihm diese bereits seinerzeit bekannt gewesen sind. Zwar ist es - worauf die Verteidigerin des Verurteilten in ihrer Revisionsbegründung vom 4. März 2009 (Seite 6 f., Bl. 3069 f) selbst hingewiesen hat - das Recht eines Angeklagten, in der Hauptverhandlung unwahre Angaben zur Sache zu machen und auf die Benennung ihn entlastender Umstände und Zeugen zu verzichten, weil er nach der Strafprozessordnung seine Verteidigungsstrategie selbst bestimmen darf. Auch nach rechtskräftiger Verurteilung ist er nicht daran gehindert, sich im Wiederaufnahmeverfahren erstmals solcher Entlastungstatsachen und -beweismittel zu bedienen. Jedoch hat er dann - als Folge seiner Verteidigungsstrategie - einleuchtende Gründe dafür anzuführen, warum er die Tatsachen oder Beweismittel früher nicht zu seiner Entlastung verwandt hat, dies aber nunmehr - im Wiederaufnahmeverfahren mit seinen nach §§ 359 ff. StPO beschränkten Möglichkeiten - für geboten hält (zu vgl. BGH, a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.). An den Verurteilten werden dadurch keine unzumutbaren Anforderungen gestellt, kennt er doch den Sachverhalt am genausten. Schließlich will er ein Verfahren wieder aufrollen, das nach einer Beweisaufnahme zu seiner rechtskräftigen Verurteilung geführt hat.
Nach den aufgezeigten Grundsätzen hat der Beschwerdeführer vorliegend eine nachvollziehbare Erklärung für sein früheres Prozessverhalten und die Nichtbenennung der Alibitatsachen und -beweise nicht abgegeben. Sein Wiederaufnahmevorbringen ist widersprüchlich und liefert keinen plausiblen Grund dafür, warum er sowohl den Zeugen U als auch die zur Tatzeit angeblich persönlich von ihm vorgenommene Bargeldeinzahlung in der JBank-Filiale in I nicht bereits im Strafverfahren angeführt hat. Während er in der Hauptverhandlung - trotz mehrfacher Nachfrage der erkennenden Kammer - die Benennung des oder der Alibizeugen "aus Integrität" sowie mit wechselnden Begründungen verweigert hat, weil diese Leute, die möglicherweise mit einem Drogengeschäft zu tun hätten, einerseits nicht mit der Justiz reden würden und er andererseits selbst, da es sich in Deutschland nicht um ein Drogenverfahren handele, bei Angabe dieser Geschäftskontakte § 31 BtMG nicht zu seinen Gunsten in Anspruch nehmen könne (Seite 14 bis 16 der Urteilsgründe, Bl. 3222 ff.), stellt er in dem Wiederaufnahmeantrag vom 29. Juni 2009 den Hintergrund seines früheren Schweigens gänzlich anders dar. So will er den Alibizeugen U nunmehr deshalb nicht benannt haben, weil er befürchtet habe, dass dieser ansonsten mit einem Betäubungsmittelfund in seiner Wohnung (des Angeklagten) hätte in Verbindung werden können und dadurch der Gefahr eigener Strafverfolgung ausgesetzt gewesen wäre (Seite 5, Bl. 3206). Mit Betäubungsmitteln oder illegalen Geschäften hat der angebliche Alibizeuge selbst jetzt nichts mehr zu tun gehabt, wohingegen in der Haupverhandlung gerade etwaige Drogengeschäfte "diese(r) Leute" oder "dieses Jungen" der vermeintliche Grund dafür gewesen sind, weshalb dem Verurteilten "aus Integrität" dessen oder deren Benennung angeblich nicht möglich gewesen ist. Unbeschadet dieses konträren Sachvortrags erschließt sich nicht, warum der Zeuge U durch die - allein - von ihm zu bestätigende Begleitung des Angeklagten bei der Bargeldeinzahlung mit einem Drogenfund in dessen Wohnung oder sonstigen illegalen Geschäften in Verbindung hätte gebracht werden sollen. Diese Ungereimtheiten setzen sich schließlich in der Beschwerdebegründung fort. Im Gegensatz zu dem Vorbringen in dem Wiederaufnahmegesuch, demzufolge der Zeuge U noch bestätigen sollte, dass der Verurteilte am 24. April 2008 in I geschäftlich unterwegs gewesen sei (Seite 5, Bl. 3206), wird in der Beschwerdeschrift nunmehr - ohne dies näher auszuführen - in den Raum gestellt, "der neu benannte Zeuge U und der in Rede stehende geschäftliche Kontakt müss[t]en nicht personenidentisch sein" (Seite 3, Bl. 3267). Der gesamte Sachverhalt und die Umstände, die für das abweichende Prozessverhalten des Verurteilten maßgeblich gewesen sein sollen, bleiben damit im Verborgenen. Insgesamt ist weder ein vernünftiger Grund dafür dargetan noch sonst erfindlich, warum der Verurteilte sich im Strafprozess auf seinen angeblichen Bankbesuch zur Tatzeit als Alibitatsache und den Zeugen U als Alibizeugen nicht zu seiner Entlastung berufen hat. Dies ist um so unverständlicher, als die gesamte Verteidigungslinie des Verurteilten in dem Strafverfahren auf einen Alibibeweis ausgerichtet gewesen und ihm gerade durch das wiederholte Nachfragen der Strafkammer nach konkreten Alibibeweismitteln die für ihn im Übrigen erdrückende Beweislage mit aller Deutlichkeit aufgezeigt worden ist.
Der ihm nunmehr - im Wiederaufnahmeverfahren - obliegenden erweiterten Darlegungspflicht ist der Beschwerdeführer nicht im Ansatz gerecht geworden, so dass sein Wiederaufnahmegesuch als unzulässig zu verwerfen war.
Ende der Entscheidung
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